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Emotionen sind falsche Meinungen - was wir von den Stoikern lernen können.

Um es vorweg zu nehmen: Ich weiss, dass ich nichts weiss; schon gar nichts über die Stoische Philosophie zu der ich gestern an der Uni Luzern ein Tagesseminar mit der wunderbaren Dr. phil. Anna Schriefl zur Einführung in die Betrachtungsweise der Stoia besuchte. Erkenntnisse sind meines Erachtens nicht mit Wissen zu verwechseln, doch gehören sie in den Lernprozess, der sehr wohl am Ende zu Wissen führen kann. Ein Stoiker würde wohl sagen, dass Wissen der Zustand ist, indem man nur noch Erkenntnisse hat. Deshalb kann das gemeinsames Denken uns alle weiterbringen; andere Perspektiven einnehmen, ist wie Sport für die Hirnzellen, sie dehnen und erweitern unser Denken und Sonntag ist doch ein wunderbarer Tag um die Gelegenheit zu nutzen.



Text: Betrachte die Dinge einmal anders (Kopfüber geschrieben)



Das philosophische System der Stoiker besteht aus den drei Teilen der Logik, Physik und Ethik. Unter der Logik versteht die Stoische Philosophie die formale Logik also die Entwicklung einer Aussagenlogik und die Erkenntnistheorie, bestehend aus Meinung, Erkenntnis und Wissen. Die Physik geht davon aus, dass nur Körper existieren und Vernunft und Materie genauso Körper sind wie die Seele. Denn alles was einen logischen Ablauf hat und eine Kausalität, ist Körper. Die Seele ist das an uns, was Gefühle entwickelt und mit unserem Körper verbunden ist weshalb physikalisch betrachtet, die Seele eben auch ein Körper ist. Die Philosophie der Stoiker besagt, dass Tugend wissen ist, Emotionen falsche Meinungen sind und wir alle Bewohner desselben Kosmos sind und seine Bürger werden sollten.


Ich halte inne: Emotionen sind falsche Meinungen. Jetzt wird's für mich spannend:

Was mach ich jetzt mit meinem Ärger über den älteren Herrn, der vor zwei Tagen drohte, meinem Hund einen Tritt verpassen zu wollen, weil Odhin schwanzwedelnd (Ausdruck von Freude - auch eine Emotion!) vor ihm stehen blieb und in dieser Position - berührungsfrei -einfach verweilen wollte und deshalb nicht schnurstracks auf Kommando zu mir zurückkam? Nochmals: Emotionen sind falsche Meinungen. So die Lehre der stoischen Philosophie:


"Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Auffassung über die Dinge", so Epiktet, der in seiner Lehre vor allem ethische Fragen behandelt und die praktische Umsetzung philosophischer Überlegungen in den Vordergrund stellt. Er gehört zu den einflussreichsten Vertretern der Stoia.


"Der Tod zum Beispiel ist nichts Schreckliches" so Epiket weiter. "Was vielmehr schrecklich ist, ist die Auffassung über den Tod, dass er etwas Schreckliches sei. Wann immer wir also behindert, verwirrt oder traurig gemacht werden, wollen wir niemals jemand anderem die Schuld daran geben als uns selbst, das heisst: unseren eigenen Auffassungen. Ein ungebildeter verrät sich dadurch, dass er anderen Vorwürfe macht, wenn es ihm schlecht geht. Ein Anfänger in der philosophischen Bildung macht sich selbst Vorwürfe. Der gründlich Gebildete schiebt die Schuld weder auf einen anderen noch auf sich selbst."


Wie also hätte Epiktet die Begegnung mit dem älteren Herrn, meinem Hund und mir gesehen und was können wir von den Stoikern lernen?


Dafür versuche ich die drei unterschiedlichen Perspektiven der oben beschriebenen Protagonisten zu erkennen.


Perspektive älterer Herr: Nicht das Stehenbleiben und Schwanzwedeln meines Hundes verwirrte diesen Mann, sondern die Bedeutung, die er diesem Akt zuschrieb. Für ihn bedeutete dieser Akt möglicherweise Angst oder Bedrohung, weil er nicht über das Wissen verfügt, dass Hunde, die mit dem Schwanz wedeln, Freude zeigen. Vielleicht ist der Herr auch kein Tierfreund und die physische Distanz zwischen ihm und Odhin war ihm zu knapp. Seine falsche Meinung führte zu den Emotionen, die er unmissverständlich zum Ausdruck brachte und drohte. Er war der Meinung Angst haben zu müssen und sich dagegen wehren zu müssen.


meine Perspektive: Nicht die mögliche Angst oder Bedrohung dieses älteren Herrn vor meinem Hund verwirrte mich, sondern die Bedeutung und Schlussfolgerung, dass er ihm einen Tritt verpassen würde, wenn er nicht sofort weggehen würde. Auch ich gab diesem Akt der Drohung in einer ersten Reaktion eine Bedeutung und outete mich - retrospektiv gesehen - als totale Anfängerin in der Anwendung der stoischen Philosophie und meinte: "Sie geben meinem Hund ganz sicher nicht einen Tritt, wenn er sie nicht einmal berührt."

Der Mann hat zwar gedroht, diese aber nicht ausgeführt. Meine falsche Meinung führt zu Emotionen, die sich in Empörung äusserten. Ich habe mutgemasst, dass er dann gleich meinen Hund treten würde und war empört; so als hätte er es schon getan.


Perspektive Odhin: Ihn hat die Auffassung des älteren Herrn nicht interessiert, er hat weder seiner Stimmlage (okey, er hört nicht mehr gut) noch seiner Gestik mit den wedelnden Armen Bedeutung geschenkt sondern blieb in seiner Zufriedenheit über diese Begegnung. Zufriedenheit ist die Abwesenheit von Emotionen, so ja auch die Lehre. Ich weiss nicht, wie lange er noch hätte schwanzwedelnd vor den Füssen des älteren Herrn stehenbleiben wollen, hätte ich ihn nicht geholt. Auch meiner am-Halsband-Mitkommen-Handlung schenkte mein portugiesischer Wasserhund keine Bedeutung, er lief in gewohnter Ruhe mit zum Auto. Stoisch eben.


Epiktet hätte mit Sicherheit Odhin für die praktische Umsetzung der stoischen Philosophie gratuliert. Zufriedenheit ist die Abwesenheit von Emotionen, so besagt es die Lehre der Stoia. Deshalb liegt die Kunst alleine darin, mit den eigenen Gefühlen einen angemessenen Umgang zu finden. Nun kann man natürlich sagen, dass ein Tier nicht die gleichen Emotionen hat, wie ein Mensch. Odhin reflektiert nicht, weil er das nicht kann. Wir Menschen aber können denken. Und genau an diesem Punkt erachte ich es als denkenswert von den Stoikern zu lernen:


- Hinterfragen und reflektieren der eigenen Auffassung über Dinge und welche Bedeutung wir ihnen geben. Was ist, ist - was nicht ist, ist nicht.

- Verwenden Sie auch grössere Aufmerksamkeit darauf, sicherzustellen, dass ihre Zustimmung nicht zufällig, sondern nur in Verbindung mit Erkenntnissen erfolgen.

- Fokussieren wir uns auf die eigene Charakterentwicklung und darauf exzellente Menschen zu werden. Lebenslanges Lernen.

- Üben wir uns in den Tugenden: Die abendländische Tradition zählt sieben Tugenden: Glaube, Liebe, Hoffnung, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mässigung.

- Unterscheiden wir Meinung von Wissen.

- Besuchen Sie ein philosophisches Seminar und Denken Sie mit anderen zusammen. An der Universität Luzern philosophieren Sie zwar nicht inmitten antiker Säulen, dafür mit spannenden Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Experten und einem gemeinsamen Mittagessen.

- Gehen Sie (mit Ihrem Hund) spazieren und geniessen Sie die Natur, die frische Luft und freuen Sie sich über jede Begegnung, die Sie erwartet.


Ich glaube nicht, dass man lernen kann gelassener zu werden in einem Seminar oder Workshop. Sich und seinen Charakter zu festigen, berechenbarer und ausgeglichener zu werden, scheint mir eher ein lebenslanges Auseinandersetzen zu sein, dafür ist die Stoika hilfreich, wie auch andere Formen wie Meditation, Yoga oder andere Lehren. Diogenes Laertius meint: "Die Tugend ist ein konsistenter Charakter. Auch ist sie um ihrer selbst willen wählenswert, nicht wegen irgendeiner Furcht oder Hoffnung oder wegen etwas Äusserem. Und in ihr besteht das Glück, weil die Tugend eine Seele ist, welche erfolgreich zur Übereinstimmung des Lebens insgesamt gebildet wurde."

Darüber nachzudenken, ist schon einmal ein guter Anfang.


Herzlich, Ihre Kulturboosterin

Manuela Broz





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