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Gute Zusammenarbeit in der Praxis

Alles ist da - trotzdem werden die Probleme der Arbeitswelt grösser! Deshalb müssen wir dringend lernen, Führungs- und Kulturgestaltung anzuwenden. In diesem Artikel kläre ich auf, was unser Handeln bremst und weshalb das auf dem Flur liegende Taschentuch ein Dauerbrenner bleibt, wenn wir nicht ins Tun kommen.


Vor ein paar Tagen fragte mich ein CEO im Rahmen unseres Sparring-Austauschs: „Wie bekomme ich es hin, dass meine Belegschaft ihre Aufmerksamkeit auf die Wechselwirkungen der kulturellen Aspekte in unserer Organisation gestaltend eingeht und umsetzt?“ Dabei bemerkte sie auch gleich an, dass es doch schon beim Papiertaschentuch beginne - mit der guten Zusammenarbeit- welches im Flur auf dem Boden liegt und manchmal sich jemand bücken würde, um es aufzuheben und wegzuschmeissen und manchmal eben auch nicht.

Wofür steht denn dieses Papiertaschentuch? Für eine verbesserungswürdige Strategie, Struktur oder Kultur? Für gute Zusammenarbeit? Und wäre es ein 10 Franken-Schein - was wäre anders? Würde er von gleich vielen übersehen werden, würde er gleich lange liegen bleiben, und wenn nein, warum nicht?


Taschentuch liegt auf dem Boden

Wenn ich Führungskräfte nach Erklärungen frage, bekomme ich unterschiedliche Antworten: Oft sind es die demotivierten oder faulen Mitarbeitenden, die Annahme, dass vorherrschende Gegebenheiten in einer Organisation ohnehin nicht zu beeinflussen wären. Ursächlich das Ego des Menschen im Weg stehe, die Gen Z, die angeblich sowieso alles will und nicht bereit ist dafür etwas zu tun, mangelnde Strukturen, Sanktionen und Regeln, der vorherrschende Druck und Stress, die mangelnde Achtsamkeit, die vieles torpediert oder die Tatsache, dass gerade relevantere Probleme als ein auf dem Boden liegendes Taschentuch anstehen.


Und genau darin liegt das Problem: Trotz, dass wir soviel über Hintergründe von systemischen Gegebenheiten organisatorischen Rahmenbedingungen, Organisationsentwicklung oder menschlichem Verhalten und deren Ursachen oder Zusammenhänge wissen, finden wir Erklärungen, die unsere Beeinflussungskompetenz im Fallbeispiel im Keim ersticken und sogar Überforderung auslösen können: Das Taschentuchphänomen wird als unlösbar akzeptiert, denn „Practice eats Theory for breakfast“.


Es ist an der Zeit aufzuklären! Das liegengebliebene Papiertaschentuch ist Kultur - nur wird es nicht zum Thema gemacht, weil es in all den Theorien, Konzepten Methoden und Modellen nicht erwähnt wird: Kultur ist die Reaktion auf jegliches Verhalten in einer Organisation! Kultur ist die Antwort auf „wie wir die Dinge machen“ und im Speziellen darauf, ob wir den Fokus auf „des Guten zu viel“ aus den Augen verlieren:

  • Herrscht Chaos oder überregulierte Ordnung?

  • Finden wertschöpfende oder einschränkende Interaktionen mit Kunden statt?

  • Ist operative Hektik oder fokussierte Konzentration wahrnehmbar?

  • Brühtet Innovation oder geistige Windstille?

  • Ist die Belegschaft gesund oder krank?

  • Arbeiten Mitarbeitende gerne für Sie oder nicht?

  • Wird exzellente Leistung erbracht oder Mittelmass?

  • Werden blinde Flecken angesprochen oder nicht?

  • Entspricht die Qualität dem, was definiert wurde oder nicht?

  • Entwickelt sich der Betrieb oder stagniert er?

  • Betrachtet die Belegschaft Arbeit als Mittel zum Zweck oder als Teil der Lebensqualität?

  • Ist Ihre Belegschaft beschäftigt oder arbeitet sie?

  • Denkt ihr Unternehmen kompliziert oder komplex?

Führen Sie gerne diese Aufzählung fort; sie wird sie an das Thema Unternehmenskultur näher bringen, als jegliche Theorie. Tun und Anwendung von Unternehmenskultur bedeutet aus meiner Sicht, in der Führung- und Kulturgestaltung ständig die gegensätzlichen Pole im Auge zu behalten und immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Eine Aufgabe, die höchst anspruchsvoll ist und einige Überlegungen wert sind: Wieso?:


1. Wir stellen Einfachheit und Banalität mit Trivialität gleich ohne den Kontext zu berücksichtigen.

Das Wort "einfach" bezieht sich im Allgemeinen auf etwas, das leicht verständlich, unkompliziert oder ohne grosse Schwierigkeiten ist. Es steht im Gegensatz zu etwas Komplexem oder Schwierigem. Der Ausdruck „banal“ wird hingegen verwendet, wenn man etwas für alltäglich und nicht erwähnenswert hält. Als „trivial“ gilt im Allgemeinen etwas, das in geistiger oder künstlerischen Hinsicht keinen wertvollen Gehalt entdecken lässt.


Es ist wichtig zu beachten, dass alle Begriffe subjektiv sein können und von individuellen Perspektiven und Kontexten abhängen. Was für eine Person trivial erscheint, kann für eine andere Person von Bedeutung sein. Was für jemanden einfach zu verstehen ist, kann für jemand anders bereits schwierig zu verstehen sein. Daher sollten die Begriffe mit Vorsicht verwendet werden, um sicherzustellen, dass sie angemessen und fair in Bezug auf den jeweiligen Kontext angewendet werden.

Das Taschentuch steht für eine wichtige Metapher: Es aufzuheben ist einfach, deshalb ist es für viele von uns ein triviales Thema. Oder kennen Sie eine Geschäftsleitung, ein Vorstand oder Verwaltungsrat, der sich mit dem liegengebliebenen Taschentuch auf dem Flur beschäftigt?


Wenn wir diese Einfachheit, Banalität und Trivialität gleichsetzen, neigen wir dazu, komplexe Probleme oberflächlich zu betrachten und deren tatsächliche Komplexität zu unterschätzen. Genau an diesem Punkt kommt Unternehmenskultur ins Spiel. Wir verfügen zwar über so viel Wissen, wie noch nie, können dieses Wissen aber schlecht in praktische Verbindung zu einander bringen. Das ist eine Form von Halbwissen, die zu nicht durchdachten Lösungen oder Entscheidungen führt, da man wichtige Aspekte und Zusammenhänge vernachlässigt, weil man sie nicht kennt.

Indem man Trivialität für Einfachheit hält, übersieht man möglicherweise die Tiefe und Bedeutung bestimmter Themen, Ideen oder Konzepten. Man könnte wichtige Informationen oder Einsichten verpassen, die einen tieferen Einblick in ein Thema ermöglichen würden.

Das Taschentuch im geistigen Kontext zur Unternehmenskultur zu betrachten, ist keinesfalls Trivial, denn die Tiefe und Bedeutung kann auch in andere erfolgsrelevante Bereiche übertragen werden. Wenn das Taschentuch nicht aufgehoben wird, werden dann:


  • auf Missstände hingewiesen?

  • dysfunktionale Verhalten erkannt?

  • Konflikte angesprochen und bewältigt?

  • Absenzenmissbrauch wahrgenommen?

  • den Elefanten im Raum benannt?

  • Zusammenarbeitsverweigerungen auf den Grund gegangen?

  • Schwierigkeiten rechtzeitig angesprochen?

  • Selbstreflexion geübt?

  • gemeinsames Lernen praktiziert?

  • einander vertraut?

  • Verlässlichkeit demonstriert?

  • Sorgen geteilt?

  • einander geholfen?

  • Mut belohnt?

  • Fehler zugegeben?

  • kritisch gedacht?

  • konstruktive Rückmeldungen gegeben?

  • blinde Flecken aufgezeigt?

  • Unternehmensgesundheit berücksichtigt

  • Schieflagen korrigiert?

2. Wir tun uns schwer, die Zusammenhänge verschiedener Theorien miteinander zu verbinden - deshalb fehlt es an Praxistauglichkeit.

Es ist wichtig, die verschiedenen Theorien und Teilgebiete aus der Unternehmenskultur zu verstehen und zu kennen. Dazu gehört, sich mit den Grundlagen von Sozial-, und Systemtheorie, Psychologie, Strukturen, Strategien, Pädagogik oder Konzepte der Demokratietheorie und deren Überlegungen zu Macht, Einbezug oder Entscheidung zu befassen.

Nur die Identifizierung von unterschiedlichen Theorien, ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden helfen dem Papiertaschentuchphänomen auf den Grund zu gehen. Womit haben wir es möglicherweise zu tun? Es geht also um die Vernetzung verschiedener Betrachtung von evidenzbasierten Erkenntnissen und wissenschaftlichen Theorien wie Mitläufertum, Motivationstheorien, erlernte Hilflosigkeit, Hintergründe von dysfunktionalem Verhalten, innere Kündigung, Reaktionen auf Druck und Stress, Erwartung und Erfüllung des psychologischen Vertrags, wahrgenommene Konsequenzen oder die Dauer der Betriebszugehörigkeit um nur ein Bruchteil reziproker evidenzbasierte Verbindungen einzubringen - die durchaus mit diesem „einfachen“ Papiertaschentuch auf dem Flur in Verbindung stehen können.

Auf diese Weise können wir die verschiedenen Theorien nutzen, um ein ganzheitliches Bild der Unternehmenskultur zu zeichnen.

3. Unterschiedliche Sichtweisen einnehmen können, bedeutet sich mit unterschiedlichen Disziplinen zu befassen: Führungs- und Kulturgestaltung ist deshalb Aufgabe jeder Führungskraft in einem Unternehmen.

So ist es möglich, unser Papiertaschentuchbeispiel nicht zwingend als Faulheit oder Gleichgültigkeit einzelner Personen einzustufen, sondern die allgemeine Arbeitsunzufriedenheit und die damit einhergehende Identifikation genauso als Möglichkeit einzuschliessen oder zu erkennen, dass unerwünschtes Verhalten kopiert wird und ohne Interventionen eine ganze Belegschaft ohne zu hinterfragen ein bestimmtes Verhalten über Jahre manifestiert.


Genauso könnte es auch sein, dass die Wichtigkeit von Sauberkeit und Ästhetik weder mit der Kaufbereitschaft der Kunden noch im Zusammenhang von Ordnung und Struktur mit Sicherheit und Orientierung der Belegschaft in Verbindung gebracht werden oder mangelnde Übung von Achtsamkeit und Selbstreflexion generell die Wahrnehmung beeinträchtigen können.


Genauso aber könnten Rahmenbedingungen dazu führen, dass das Papiertaschentuch liegen bleibt; wenn nämlich diese unsichtbaren und wenig wertgeschätzten Arbeiten nicht oder kaum als Leistung in Unternehmen anerkannt werden und ausserdem von den immer gleichen Personen ausgeführt werden, kann es sein, dass sich niemand darum kümmert. Mental Load bezeichnet die Übernahme der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für Dinge, die kaum gewürdigt werden, weil es nicht gemerkt wird: Blumen wässern, Flipchartpapier nachfüllen, Getränke bereitstellen oder eben Papiertaschentücher aufheben.

Da Spezialisten häufig in ihren eigenen Fachbereichen arbeiten, neigen sie dazu, in Silos zu denken und zu handeln. Wenn plötzlich alles aus psychologischer Sicht gesehen wird, kommen sie auf andere Schlüsse, als wenn sie eine Systemtheoretische Betrachtung einnehmen. Wenn Sie als Führungskraft in den Finanzen arbeiten, haben Sie einen anderen Fokus auf die Dinge, als wenn Sie in der Produktion oder im Personalwesen tätig sind. So kommt es, dass Sie auf ein Konzept, einen Berater, ein Modell setzen von dessen Betrachtungswinkel Sie überzeugt sind und aus dieser Perspektive versuchen Sie Massnahmen zur Verbesserungen einzuleiten. Die grosse Gefahr besteht allerdings, dass Sie damit die Pole der Kultur erst recht in Schieflage bringen. Nämlich dann, wenn wegen einseitiger Betrachtung sich eine neue Kultur zu formen beginnt, die unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringt und der Organisation zum Verhängnis werden kann. Wenn beispielsweise „zuviel“ Gesundheitsmanagement in Unternehmen die Selbstverantwortung für ein gesundes Leben untergräbt, kann durchaus eine kollektive Ausrichtung entstehen, die ständig nach noch besseren ergonomischen Arbeitsplätzen, Massagen, Yoga am Arbeitsplatz neuen Essenskonzepten in der Kantine und kürzeren Arbeitszeiten fordert. Dass die Diskussionen darüber, geschweige die Kosten dafür manch ein Unternehmen in Kapazitätsschwierigkeiten bringen kann, geht auf Kosten der Unternehmensgesundheit und der abnehmenden Verantwortungsübernahme von Menschen. Dann kann Gesundheitsmanagement zwar zu gesünderen Mitarbeitenden führen aber auch zu einer ungesunden Organisation. Gerade deshalb braucht Kultur die vielfältige Betrachtung verschiedener Ansichten und Lösungen und muss immer in Verbindung zu Kunden, Finanzen, Unternehmensziele und Wertschöpfung stehen, um die Bodenhaftigkeit nicht zu verlieren.

Ausserdem ist Kultur kein kopierbares Framework, das gekauft und eingeführt werden kann, sondern das Ergebnis von Aufklärung und Denken welches in Form von wertschöpfender Reaktion auf jegliches Verhalten in einer Organisation zum Tragen kommt.


Die Nachteile von Spezialisten mit den oben aufgeführten Beispielen bedeuten nicht, dass Spezialisten oder ihre Gebiete generell problematisch sind - sondern vielmehr, dass eine sorgfältige Integration und Koordination von Fachwissen innerhalb der Organisation erforderlich ist und Führungs- und Kulturgestaltung unter der Maxime stehen muss, dass diese zum Rucksack aller Führungskräfte in einem Unternehmen und in deren Verantwortung gehören muss.


Praxis findet an jeder Ecke im Unternehmen statt - gerade auch dort, wo das Taschentuch auf dem Flur liegt. Auch hierfür gibt es eine wissenschaftliche Erklärung mit dem sogenannten Butterfly effect, wonach kleinste Veränderungen der Anfangsbedingungen grosse Auswirkungen auf das gesamte System haben können. Deshalb gehört Unternehmenskultur in IT, Marketing, Finanzen, Logistik, Verkauf, Produktion oder HR weil alle zusammen bei jeder Gelegenheit hinschauen und unerschrocken benennen müssen, was es zu Üben und zu Lernen gibt, damit in Unternehmen das getan wird, was getan werden muss.


Warum also beherrschen wir den Transfer in die Praxis so schlecht und was können wir dagegen tun? Meine kurze Antwort an den CEO gestern:


Wer nicht eintaucht in die Tiefen der Unternehmenskultur und sich mit ihren Zusammenhängen auseinandersetzt, wird nie eine praktische Anwendungen ableiten können. Wer das Taschentuchphänomen in der obersten Führungsebene nicht zum Anlass nimmt, um über wesentliche Themen wie Führungs- und Unternehmenskultur nachzudenken und zu reden wird nie erleben, dass Kultur gestaltet werden kann, indem das Ergebnis der Reaktionen durch einen spürbaren Prozess der Entwicklung in Gang kommt, weil Kettenreaktionen und Wechselwirkungen keine trivialen Angelegenheiten sind. Kultur gehört verbunden mit Strategie und Struktur und ist deshalb Führungsaufgabe, die wir nur in Umsetzung bringen, wenn wir sie zum Thema machen:


Am 12. Juli und 8. August finden die nächste Infoveranstaltung statt für unseren Herbstlehrgang, der am 25. August startet. Während einem halben Jahr lernen Sie die Zusammenhänge und Wechselwirkungen kultureller Gegebenheiten kennen und können Umsetzungsaktivitäten in die Praxis ableiten. Während 5 Präsenz- und 4 Remote-Veranstaltungen tauchen wir ein und klären Missverständnisse und Praxisfragen auf, die Ihren Handlungsspielraum in Führung und Umsetzung auf eine neue Dimension der Arbeitsgestaltung hebt.


Wir freuen uns auf Sie!

Herzlich,

Manuela Broz

Kulturboosterin





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