Seit drei Jahren bin ich mit einem Systemfehler eines renommierten Wirtschaftsverbandes konfrontiert und erhalte jeweils pünktlich zu Beginn der Sommerferien eine Mahnung für meine "ausstehende" Mitgliedschaftsgebühr. Seit drei Jahren schicke ich darauf der Buchhaltung die Kündigungsbestätigung zu und telefoniere, um mich zu vergewissern, dass die Sache ein für allemal erledigt ist; was mir auch immer versichert wurde. Aber eben nur bis zum nächsten Sommer. Dann beginnt das System wieder mit dem, was es tun soll, nämlich mahnen und den ausstehenden Geldbetrag einfordern. Dieses Jahr änderte ich meine Strategie und ich konfrontierte direkt den CEO des Wirtschaftsverbandes mit meinem Ärgernis.
Dieser meinte, dass ihm meine Rückmeldung zeige, dass Zitat: "Gewisse Mitarbeiterinnen nicht sauber respektive unkonzentriert gearbeitet haben." Deshalb wären alle Mitarbeiterinnen ausgewechselt worden. Er würde sich für die Unannehmlichkeiten die durch das Zitat "schnoddrige Arbeiten früherer Mitarbeiter" entstanden wären, entschuldigen. Die unglücklich formulierte Ansprache im automatisierten Mahnungsmail käme aus dem System, welches auch per ersetzt würde. Er versicherte mir, dass er persönlich meinen Mitgliedschaftsautritt im System geändert habe. Das System ist schuld? Die "schnoddrige Arbeitsweise" der Mitarbeiter? Schluss mit Ausreden von Systemfehlern!
EDV Systeme verarbeiten, womit sie gefüttert werden.
Kommt Mist rein, kommt Mist raus. Das sagte schon der vor über 20 Jahren verstorbene Journalist und Finanzexperte André Kostolany. Trotzdem hören wir immer wieder, dass Institutionen, die auf einen Fehler hingewiesen werden dem System die Verantwortung übertragen. "Das hat das System falsch berechnet" oder "das System gibt das so vor". Das klingt nämlich so praktisch und bequem weil sich daran nichts ändern lässt. Vielleicht ist manchmal sogar etwas dran, schlussendlich geht es darum, selbst in Verantwortung zu gehen und trotz oder gerade wegen der Digitalisierung auf Probleme, Mängel oder Fehler im System zu reagieren. Viel ist von Eigenverantwortung die Rede. Diese setzt aber vor allem Selbstreflexion und Selbstkritik voraus - womit ich zum eigentlichen Systemfehler komme.
Systemfehler sind Fehler im Denksystem
Oder Fehler im Haltungssystem, Führungssystem, Entscheidungssystem, Wahrnehmungssystem, Kommunikationssystem, Reklamationssystem, Ursachenzuschreibungssystem, Veränderungssystem und Fehler im Kultursystem.
Fehlerkultur anstatt Schuldige nach Lösungen
Die Mitarbeitenden sind schuld und zwar eine ganze Abteilung, so die Analyse aus der obersten Etage im Antwortschreiben. Nicht die Führungskultur, die offenbar "schnoddriges Arbeiten" über einen Zeitraum von drei Jahren toleriert und damit neue Massstäbe für Qualität und Service setzt, nicht ausstehende (Selbst-) Kontrollen, die das Ergebnis der eigenen Arbeit überprüfen könnten. Gründe sind offenbar auch nicht in der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit zu finden, damit das Handeln aus der Sicht des Kunden oder Empfängers betrachtet oder danach bewertet würde. Und in diesem Fall auch nicht in einer Führungspersönlichkeit an der Spitze, die als Vorbild für Selbstreflexion und Selbstkritik vorangehen würde und nicht die Schuld auf andere oder Systemen schiebt und damit ein Zeichen setzen würde.
Wenn Systemvertrauen grösser ist als Vertrauen in Menschen beeinflusst dies unsere Beziehungen
Vertrauen, Verantwortung und Kontrolle erreichen eine neue Dimension der praktischen Anwendung, weil sie nicht nur in und von Menschen erbracht werden: Systeme, Programme, Maschinen oder Algorithmen entscheiden, verantworten und kontrollieren.
Menschen müssen auf die Richtigkeit der Technologie und Systeme vertrauen.
Eine mögliche Auswirkung davon kann sein, dass wir in Zukunft den Maschinen mehr vertrauen als den Menschen. Dies hätte für die Beziehungsgestaltung am Arbeitsplatz Auswirkungen: Wenn das Vertrauen unter Menschen kaum mehr gegeben ist, besteht die Gefahr, dass Zusammenarbeit mit anderen Menschen als überflüssig angesehen werden könnte. Dort, wo Zusammenarbeit mit anderen Menschen nicht umgangen werden kann, besteht das Risiko einer Arbeitskultur, die dominiert wird von Misstrauen.
Fehlerkultur zieht alle in Verantwortung und richtet den Blick stets nach vorne
"Das System sind wir alle", egal ob EDV, Künstliche Intelligenz oder menschlich ausgeführte Arbeit und Handlungen. Wir entscheiden wie wir unsere persönliche Verantwortung einbringen und mit welchen Standpunkten wir auf Fehler in diesen Systemen reagieren wollen:
A) Bringen wir Ausreden und schieben dem System oder anderen die Fehler zu und bedauern, dass man ohnehin nichts an der Misere ändern kann. oder
B) Erkennen wir, dass wir das System sind und es nicht um die anderen geht, sondern um die eigene Dummheit, Ignoranz und Bequemlichkeit.
Welche Haltung auch immer du wählst, sie ist kulturprägend und hat direkten Einfluss auf das Verantwortungsgefühl deiner Mitarbeitenden und der Zufriedenheit deiner Empfänger und Kunden. Bist du Opfer oder Gestalter von Systemen? Wenn du möchtest, dass deine Belegschaft sich auseinandersetzt und konstruktive Rückschlüsse auf die eigene Verantwortung für das Ergebnis zieht, schenke dir und deiner Belegschaft Zeit zum Nachdenken, was ihr für Systeme braucht, welche nicht, welche Fragen Systeme beantworten sollen und wie ihr sicherstellt, dass Reflexion und Selbstkritik kontinuierlich stattfinden. Das ist gelebte Fehlerkultur!
Viel Freude beim Lernen. Ausprobieren. Verfeinern. Anpassen
Manuela Broz
Kulturboosterin
In der Raketenwissenschaft ist ein Booster ein Hilfstriebwerk, das der Startrakete den nötigen Schub verleiht - ein Kulturbooster ist ein Verstärker der das Potential von Unternehmen und Individuen zum Abheben bringt.
Zur Autorin:
Manuela Broz begleitet seit 35 Jahren Unternehmen und Menschen in der Stärkung ihres Potentials mit Führung und Kulturberatung.
Sie bietet Coaching und Trainings für künftige und gestandene Führungskräfte, die ihre Transformationsrolle mit geschärftem Blick für unternehmerische und kulturelle Zusammenhänge verstehen und mit ansteckender Begeisterung umsetzen wollen.
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